Die Bundesregierung unter der Leitung von Dr. Wolfgang Schüssel leitete im Jahr 2003 eine groß angelegte Neustrukturierung des Österreichischen Bundesheeres ein. Basis für die Reform bildete das Kapitel „Äußere Sicherheit und Landesverteidigung“ des Regierungsprogramms für die XXII. Gesetzgebungsperiode:

In Zukunft werden neben den territorialen Verteidigungsaufgaben internationale Solidaritätsleistungen, Katastrophenhilfe sowie Assistenzleistungen des Bundesheeres (z.B. zur Grenzsicherung) im Vordergrund stehen. Das Bundesheer muss für alle diese Aufgaben, einschließlich der Teilnahme am gesamten Spektrum des europäischen Krisenmanagements (Petersberg- Aufgaben), der Stabilitäts- und europäischen Beistandsaufgaben, vorbereitet werden.

  • Weiterentwicklung der ESVP: Unterstützung der Bemühungen zur Verwirklichung der in Art. 17 des EU-Vertrags aufgezeigten Möglichkeit einer gemeinsamen europäischen Verteidigung. Aktive Mitwirkung und Mitarbeit Österreichs an einer zukünftigen Beistandsgarantie im Rahmen der Europäischen Union. Aufnahme einer Solidaritätsklausel zur Bewältigung von terroristischen Bedrohungen im Rahmen der EU. Mitwirkung an einer zukünftig verstärkten Zusammenarbeit im Bereich von Sicherheit und Verteidigung.
  • Österreichischer Beitrag zum Headlinegoal der EU: österreichischer Beitrag von derzeit rund 1500 Soldaten für das militärische Planungsziel der EU, Sicherstellung der entsprechenden Ausrüstung und Maßnahmen im Personalbereich. Bereitstellung von Polizei- und Zivilschutzkräften sowie Justizpersonal für zivile Operationen im Rahmen der ESVP.

 

  • Die militärische Landesverteidigung muss auch in Österreich den Bedrohungen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Dazu setzt die Bundesregierung unter Federführung des BMLV eine Reformkommission ein, die auf Basis der Bundesverfassung und der geltenden Sicherheits- und
    Verteidigungsdoktrin die Grundlage für diese Reform bis spätestens Ende 2003 erarbeiten soll. Im Rahmen dieser Kommission sollen auch alle Fragen im Zusammenhang mit der militärischen Sicherung der österreichischen Souveränität geklärt werden.

Budgetäre Erfordernisse wurden im Regierungsprogramm zwar angesprochen, aber nicht detailliert ausgeführt:

Nachbeschaffung Luftraumüberwachungsflugzeuge:
Fortsetzung des Beschaffungsvorganges auf der Grundlage der von der Bundesregierung in der XXI. GP getroffenen Beschlüsse. Für den Ankauf der Abfangjäger werden Gegengeschäfte in maximal möglicher Höhe mit positiven Auswirkungen auf Beschäftigung, Standort und hinsichtlich des technologischen Nutzens umgesetzt. Der Ankauf soll in der gesamten Legislaturperiode nicht budgetwirksam sein.

 

Ausreichende Vorsorge für die Umsetzung der gestellten Aufgaben.

Zur Erreichung der angepeilten Ziele für die Aufgabenerfüllung der Struktur „ÖBH 2010“ waren finanzielle Grundvoraussetzungen notwendig. Die Bundesheer-Reformkommission unter der Leitung des ehem. Wiener Bürgermeisters Dr. Helmut Zilk empfahl in ihrem Endbericht vom 14. Juni 2004

  • eine Anpassung von Budgetstruktur und Budgetvolumen an internationale Standards, sodass mittelfristig der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben mindestens ein Drittel umfassen sollte;
  • die Schaffung einer Rechtsgrundlage für mehrjährige verbindliche Ausgabenpläne
  • dem Bundesheer das Budgetvolumen aus Einsparungen und Verkäufen frühest möglich zur Verfügung zu stellen
  • den erforderlichen zusätzlichen Finanzmittelbedarf und Einsparungs- sowie Verkaufspotentiale im Rahmen eines Transformationsprogramms darzustellen
  • gemeinsam mit Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung „alternative Finanzierungsformen“ in Form von „Public Private Partnership“ zu entwicklen, um eine budgetverträgliche Gestaltung des mittelfristigen Investitionsbedarfs zu ermöglichen
  • den Beschaffungsvorhaben ein Gesamtbudget zuzuordnen, mit dem das Gesamtprojekt zu verwirklichen ist und
  • im Falle unvorhergesehener Einsätze, auch während der Transformationsphase, Überschreitungen des jährlichen Verteidigungsbudgets vorzusehen.

Ein präziser Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt war zwar kein Teil der Empfehlungen, er wurde aber vom Kommissionsvorsitzenden im Vorwort des Berichts angesprochen:

Der laufende Budgetbedarf wird aus meiner Sicht ca. 1% des Bruttoinlandsproduktes betragen müssen.

Auch in seiner Rede zur Übergabe des Berichts setzte Dr. Zilk eine deutliche Warnung an die Politik:

Die Kommission auf jeden Fall nimmt das Bundesheer sehr ernst und empfiehlt daher, dass es ihm ermöglicht wird, bis zu 40% seiner Liegenschaften zu veräußern, aber, aber meine Damen und Herren – dies darf nicht ein schöner Zuverdienst für den Bundeshaushalt sein, dieses Geld ist dem Bundesheer zur Verfügung zu stellen – getreu dem Motto „Sparen muss sich lohnen!“

Damit sind wir beim lieben Geld.

Unter dem Kapitel „Budget“ wurden durch die Kommission einige Empfehlungen formuliert.

Ich ersuche alle Verantwortungsträger dringend, diese Empfehlungen genau zu lesen und auch entsprechend umzusetzen.

Das Bundesheer benötigt endlich Planungssicherheit – und zwar über Legislaturperioden hinaus.

Nehmen wir bitte darauf Rücksicht, dass nur eine rechtlich verbindliche Grundlage, die mehrjährige verbindliche Ausgabenpläne vorsieht, hier zum Erfolg führen kann.

Ein derartiger Transformationsprozess kostet Geld, und die militärischen Experten haben in sehr deutlicher Art und Weise, vor allem nachvollziehbar, den Beweis erbracht, welche Mittel notwendig sein werden.

Als ältestes Kommissionsmitglied habe ich mir in den letzten Monaten ein klares Bild vom Bundesheer gemacht, und ich beanspruche für mich, als ziviler Experte, den Weg für das Bundesheer in das Jahr 2010 klar zu sehen.

Die Budgetmittel, die dafür bereit gestellt werden müssen, liegen bei ca. 1% des Bruttoinlandsproduktes. Diese sollten dem Bundesheer in Form einer Sonderfinanzierung sofort verfügbar gemacht werden, die auch Möglichkeiten einer Bundesanleihe einschließen könnte. Die Erlöse aus Liegenschaften könnten zur Rückzahlungsverpflichtung beitragen.

Obwohl die Kommission und ihr Vorsitzender mehr oder weniger klargestellt haben, dass die Reform ohne die Schaffung stabiler finanzieller Rahmenbedingungen nicht gelingen würde, schrumpfte das österreichische Verteidigungsbudget ab 2006 dramatisch:

Abb. 1: Entwicklung des österreichischen Verteidigungsbudgets (bereinigt um die Zahlungsraten für den „Eurofighter“ von 2004 bis 2015)

Der Anteil der Investitionen am Gesamtbudget (VA-Post Nr. 4632 – 4690 bzw. Konto Nr. 4660 – 4690) brach zwischen 2004 und 2015 um 94 % ein (Von 19,78 % auf 1,2 %.).

Foto: Bundesheer

Abb. 2: Eurofighter Typhoon bei seiner ersten Landung in Zeltweg (Foto: Bundesheer)

Das lag u.a. auch daran, dass die rot-schwarze Koalition, die nach den Nationalratswahlen 2006 die Regierungsgeschäfte übernahm, die Zahlungsraten und Betriebskosten für die neuen Abfangjäger des Typs „Eurofighter“ dem BMLV umhängte. Diese Entscheidung wurde im Arbeitsbehelf Bundesfinanzgesetz 2007 umschrieben:

Wesentliche Änderungen der Kapitelsumme 2007 zu 2006

[…]

  • Anteilsmäßig ergibt sich für die Bereiche „Personal“ (von 59,67% auf 48,79%) und „Betrieb“ (von 21,49% auf 20,24%) eine Verminderung, für den Bereich „Invest“ (von 18,84% auf 30,97%) eine Steigerung im Vergleich zu den Zahlen des BVA 2006. Im Investitions‐ und Betriebsaufwand wurde für die Kaufpreisraten und die Betriebskosten des Luftraumüberwachungsflugzeuges Eurofighter vorgesorgt.

Die Voranschlagsansätze enthalten die Ausgaben für die Investitionen und den Betrieb des ÖBH sowie die Einsätze im In‐ und Ausland. Mit den veranschlagten Ausgabenbeträgen sollen folgende Vorhaben durchgeführt werden:

[…]

  • Die eingeschränkte Aufrechterhaltung des Betriebes des Bundesheeres,
  • die Aufrechterhaltung der Ausbildung der Wehrpflichtigen und die Weiterbildung des Kaders,
  • die Sicherstellung des Assistenzeinsatzes für das BMI,
  • die Sicherstellung der Auslandseinsätze im genehmigten Ausmaß,
  • die Weiterführung der Modernisierung der Ausrüstung des Bundesheeres im Sinne der Empfehlungen der Bundesheerreformkommission und der neuen Aufgabenstellung,
  • die Verbesserung der Mannesausrüstung,
  • die eingeschränkte Berücksichtigung von Erfordernissen, die der Erhaltung der Infrastruktur dienen,
  • die Zahlungen der vereinbarten Kaufpreisraten sowie der Betriebskosten für den Eurofighter.

Darüber hinaus wurden die zu leistenden Kaufpreisraten aufgrund einer Novelle des Umsatzsteuergesetzes (BGBl. I Nr. 111/2010) ab 2011 umsatzsteuerpflichtig und erhöhten sich von 217,67 Mio. EUR auf 220,18 Mio. EUR pro Jahr.

Vor der Ausschreibung zum Kauf der neuen Abfangjäger war im Regierungsprogramm für die XXI. Gesetzgebungsperiode vorgesehen, Kauf und Betrieb ohne Belastung des Heeresbudgets umzusetzen, …

Kostengünstige Nachbeschaffung der Luftraumüberwachungsflugzeuge. Die Bundesminister für Landesverteidigung und Finanzen werden gemeinsam die Voraussetzungen entwickeln, dass der Ankauf rechtzeitig in dieser Legislaturperiode erfolgen kann, im Rahmen der Möglichkeiten des Gesamtbudgets, aber ohne zusätzliche Belastung für das Budget des BMLV.

… die Lieferungen konnten aber aufgrund der Vorgabe, dass keine Belastung des Jahres 2006, also der damaligen Legislaturperiode, stattfinden durfte (siehe Aussage von Dr. Heinrich Traumüller im Untersuchungsausschuss betreffend Beschaffung von Kampfflugzeugen am 1. März 2007), erst ab dem Jahr 2007 erfolgen. Dadurch wurde erst die Zahlung von Investitions- und Betriebskosten aus dem ordentlichen Budget des Bundesheeres (d.h. ohne Sonderfinanzierung) ermöglicht.

Der Verkauf von mehr als hundert Liegenschaften des Bundesheeres trug, entgegen der Hoffnungen der Kommission, nie dazu bei, die Finanznot zu lindern. Die Bundesheerreformkommission legte am 7. Juni 2005 ein Dokument mit der ausgeplanten Reform vor. Darin wurde dem Verkauf von bis zu 40 % der Immobilien des BMLV eine wesentliche Rolle in der Finanzierung von ÖBH 2010 zugeschrieben:

4.3 Finanzmittelbedarf

Die zur Einnahme der Zielstruktur erforderlichen Finanzmittel sind insbesondere durch die Erfordernisse der Personalentwicklung, der Auslandseinsatzverpflichtung, sowie des Umfanges an neuer materieller Ausrüstung und Ausstattung und die Erfordernisse des Betriebes bestimmt.

Dies erfordert sowohl mittel-/langfristig planbare Budgetansätze, die sich an dem langfristig erforderlichen Investitionsaufwand mit etwa einem Drittelanteil am Gesamtbudget zu orientieren hätten. Das BMLV hat zum benötigten Finanzmittelbedarf für die Anstoßreform durch den auf Grund der Reduzierung des Gesamtumfanges möglichen Verkaufes nicht mehr benötigter Infrastruktur beizutragen, wobei ihm die erzielten Erlöse im Gesamtumfang zur Verfügung gestellt werden sollen.

Zur Einleitung der Transformation und zur möglichst raschen Realisierung der Fähigkeiten, sollen die notwendigen budgetären Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Die Erzielung von Erlösen aus dem Verkauf nicht mehr benötigter Infrastruktur ist als Ressortbeitrag zur Unterstützung einer Anschubfinanzierung für die Einnahme der Zielstruktur ÖBH 2010 erforderlich.

In einem Bericht stellte der Rechnungshof im Mai 2010 fest, dass das BMLVS im Jahr 2008

die Summe der zu erwartenden Verkaufserlöse auf 414 Mill. EUR

reduzierte. Bis Juli 2012 konnten lediglich 187,43 Mio. EUR auf diesem Weg eingenommen werden.

Die geschilderten Umstände trugen wesentlich zum Scheitern der Heeresreform bei. Im BMLVS tagte ab dem 30. September 2009 ein Evaluierungsbeirat, der zur Aufgabe hatte, die Zielerreichung der Reform zu überprüfen. Der Nationale Sicherheitsrat entschied aber am 2. März 2010, den Bericht des Beirats nicht zu veröffentlichen.