Beim vom 16. bis zum 17. November 2015 stattfindenden  Außenministerrat der Europäischen Union hat Frankreich erstmals eine Mitwirkung aller EU-Mitgliedsstaaten an der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten nach der sogenannten militärischen Beistandsklausel eingefordert. Das wurde auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Hohen Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, und des französischen Verteidigungsministers, Jean Yves Le Drian, bekanntgegeben.

Laut Aussage des Verteidigungsministers hat ihn der französische Präsident heute Morgen mit der Berufung auf diese Klausel anlässlich des Außenministerrats beauftragt. Dem ist am Montag eine Ansprache von François Hollande  vor den beiden Häusern des französischen Parlaments vorausgegangen, in der dieser einleitend betonte, dass sich „Frankreich im Krieg befindet“ und über einen Befehl an zehn französische Kampfflugzeuge zur Bombardierung von Zielen in der Stadt Ar-Raqqa (Syrien, Hauptstadt der Provinz Ar-Raqqa) berichtete. Darüber hinaus erklärte der Präsident, dass er den Verteidigungsminister angewiesen habe, seine Ressortkollegen aus den anderen EU-Mitgliedsstaaten bis Dienstag zu solidarischen Maßnahmen nach Art. 42-7 EUV aufzufordern und verwies dabei auch auf die Flüchtlingskrise innerhalb der Europäischen Union:

J’ai demandé au ministre de la Défense de saisir dès demain ses homologues européens au titre de l’article 42-7 du traité de l’Union qui prévoit que lorsqu’un Etat est agressé, tous les Etats membres doivent lui apporter solidarité face à cette agression car l’ennemi n’est pas un ennemi de la France, c’est un ennemi de l’Europe.

L’Europe, elle ne peut pas vivre dans l’idée que les crises qui l’entourent n’ont pas d’effet sur elle. La question des réfugiés est directement liée à la guerre en Syrie et en Irak. Les habitants de ces pays-là, notamment ceux des territoires contrôlés par Daech sont martyrisés et fuient ; ils sont les victimes de ce même système terroriste.

Konkret wird entweder eine Mitwirkung auf Seite der französischen Streitkräfte bei den Interventionen gegen DAESH in Syrien oder im Irak verlangt oder eine Unterstützung in anderen laufenden Einsätzen der französischen Armee. Es folgen nun Verhandlungen über die Beiträge der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU.

Österreichs militärischer Beitrag

In einer Presseaussendung hat das BMLVS verlauten lassen, dass sich Österreich, in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des EU-Außenministerrats, an der Marinemission EUNAVFOR MED „Sophia“, die sich gegen die Schlepperkriminalität im Mittelmeer wendet, beteiligen wird. Der bescheidene Umfang des österreichischen Beitrags beläuft sich auf maximal zehn Soldaten, darunter Stabsfunktionen im Hauptquartier der Mission, beim Comando Operativo di vertice Interforze (COI) in Rom, und auf dem italienischen Flugzeugträger CAVOUR, dem Flaggschiff von EUNAVFOR MED.

Abb. 1: Gebäude des Commando Operative di Vertice Interforze am Militärflugplatz Aeroporto "F. Baracca" in Rom (Aeronautica Militare).

Abb. 1: Gebäude des Commando Operative di vertice Interforze am Militärflugplatz Aeroporto „F. Baracca“ in Rom (Foto: Aeronautica Militare)

Abb.1: Flugzeugträger "Cavour" mit Flottenverband

Abb.2: Flugzeugträger „Cavour“ mit Flottenverband (Foto: Marina Militare)

Abb. 3: Flugzeugträger "Cavour" (Foto: Marina Militare)

Abb. 3: Flugzeugträger „Cavour“ (Foto: Marina Militare)

Abb. 3: Landung eines Kampfflugzeugs AV-8B "Harrier" auf der "Cavour"

Abb. 4: Landung eines Kampfflugzeugs AV-8B „Harrier“ auf der „Cavour“ (Foto: Marina Militare)

Die CAVOUR (CVH 550), benannt nach Camillo Benso, conte di Cavour, dem Ministerpräsident des Königreichs Sardinien und ab 1861 ersten Ministerpräsident des Königreichs Italien, ist seit 2009 im Dienst der Marina Militare. Der Bau des Flugzeugträgers begann am 17. Juli 2001 und aufgrund seiner Größe wurde er in zwei Abschnitten realisiert: Am 20. Juli 2004 erfolgte der Stapellauf des hinteren Abschnitts in Genua, der dann bis zum 15. September 2004 in Muggiano mit dem vorderen Abschnitt verbunden wurde.  Nach Probefahrten ab dem 18. Dezember 2006 wurde die „Cavour“ am 27. März 2008 an die Marina Militare übergeben. Sie ist mit einer gemischte Fliegergruppe bestückt, bestehend aus senkrecht startenden Kampfflugzeugen des Typs AV-8B „Harrier“ und Hubschraubern der Typen EH-101 und NH90. Außerdem dient sie dem Truppentransport und kann bis zu 100 leichte Fahrzeuge bzw. 50 mittlere Fahrzeuge (z.B. Schützenpanzer VCC 80 „Dardo“) oder 24 schwere Panzer (z.B. Kampfpanzer „Ariete“) aufnehmen. Den Nachfolger der „Harrier“ stellt die Lockheed Martin F-35B „Joint Strike Fighter“ dar, die in einer eigenen Fabrik (FACO – Final Assembly and Check Out) von Alenia Aermacchi in Cameri endmontiert wird. Aufgrund von Kostensteigerungen und Verzögerungen erwartet das italienische Verteidigungsministerium, dass bis 2020 nur höchstens 23 F-35A/B (von insgesamt 90 bestellten Flugzeugen, darunter 60 F-35A CTOL und 15 F-35B STOVL für die Aeronautica Militare und 15 F-35B STOVL für die Marina Militare) geliefert werden.

Die Mission EUNAVFOR MED Operation „Sophia“ beruht auf einem Beschluss des Rates vom 22. Juni 2015. Sie unterteilt sich in drei Phasen – Phase 2 läuft seit dem 7. Oktober 2015:

  • Phase 1
    • Beobachtung und Prüfung von Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzen im südlichen zentralen Mittelmeer
  • Phase 2
    • Suche nach verdächtigen Schiffen und gegebenenfalls ihre Beschlagnahmung
  • Phase 3
    • Zerstörung von Schiffen und „zugehörigen Gegenständen“ bereits unmittelbar vor ihrem Einsatz als Schlepperfahrzeuge und Festnahme von Menschenhändlern und Schleusern

In Vorbereitung für Phase 2 wurde zunächst eine Truppenstellerkonferenz (Force Generation Conference) abgehalten. Daraufhin schlug die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik beim Informellen Treffen der EU-Verteidigungsminister die Auslösung von Phase 2 vor. Als letzten formalen Schritt beschlossen die EU-Botschafter am 28. September 2015 die Einleitung von Phase 2 ab 7. Oktober, die dafür erforderlichen Einsatzregeln (Rules of Engagement) und die Umbenennung von EUNAVFOR MED in „EUNAVFOR MED Operation Sophia“. Aktuell sind 22 Staaten der EU an „Sophia“ beteiligt, darunter auch Binnenländer, wie Tschechien und Ungarn.

Am 28. November 2015 wurden die aus der Sicht Frankreichs möglichen Beiträge der EU-Mitgliedsstaaten konkretisiert:

20. 11. 2015
NOTICE TO MEMBERS
Subject: First activation of Article 42(7) of the EU Treaty by France

France has chosen to use a formal Foreign Affairs Council in Defence Minister’s configuration on 17 November 2015 as a forum for requesting aid and assistance from the other Member States.

The present case will require ad-hoc measures and management, and will be based on cooperation experience as well as on pre-existing arrangements, structures and procedures. It will also constitute a catalyst for the further development of the EU’s security and defence policy.

France has the necessary capacity to send targeted requests to individual Member States, and integrate their aid and assistance contributions into its responses to the armed attacks of 13 November 2015.

By invoking article 42(7) TEU instead of article 222 TFEU (the so-called „solidarity clause“), France chose an instrument that provides for a rather limited role for the EU institutions.

What did France request so far?

The French Defence Minister outlined several areas where aid and assistance could be given: through material assistance in Iraq and Syria, as well as through support in other theatres such the Sahel, Central African Republic and Lebanon, which would allow unburdening additional French capabilities to be deployed for matters of national security.

What could that mean?

Material assistance:

  • Direct engagement in the military campaign against ISIS (under French auspices or in close coordination with France) – Several Member States have air-to-ground and ISTAR 1capabilities and could offer those. As an example, Belgium has already participated with 6 F-16 fighter-bombers in the anti-Daesh coalition until summer 2015.
  • Providing munitions, air-to-air refuelling, airlift capacities etc. to be used by France – this has already happened in the past, e.g. under operation HARMATTAN in Libya. There are several bi- and multilateral arrangements under which Member States could supply such capacity to France. Examples are the European Air Transport Command (EATC) or the Strategic Airlift Interim Solution (SALIS).
  • Providing access to satellite imagery – Germany, Italy and Spain possess respective capabilities complementing the French ones. The necessary arrangements are in place to allow France using these assets.The EU Satellite centre in Torrejon (Spain) has a limited capacity to produce intelligence products from satellite imagery. Its services could be activated in support of France if necessary.
  • Sharing intelligence – this is usually mentioned first among the cooperation possibilities between Member States. Information on the nature, extent and use of intelligence is normally not made public.
  • Provision of staging bases – the only Member State in vicinity of the theatre of operations is Cyprus. The UK operates a large Royal Air Force station on Cyprus in Akrotiri, and Limassol is already used as a naval base for UNIFIL.

Some of the measures can be realised on rather short notice, such as tasking satellites, whereas others, like air-to ground engagements, could take weeks to prepare. France has the necessary planning and conduct capability for integrating any of the above contributions.

Another element that might be relevant in this context is the cost relating to material contributions other than direct combat operations by Member States. Where this is not already the case, the providing Member States could bear the cost themselves, without compensation from the receiving side (France or one of the other front-line engaged Member States). Article 42(7) TEU could serve as a legal basis for respective national decisions.

Support in other theatres:

The French Defence Minister mentioned Lebanon, the Central African Republic, and Mali in a press point at the 17/11/2015 Council meeting, which would allow unburdening French capabilities. In the theatres referred to France is engaged with nearly 7000 troops in:

  • Lebanon […]
  • Central African Republic […]
  • Mali […]

Outlook:

Any support by Member States unburdening French capabilities will require some preparation and is therefore not immediately possible. Some of the already planned rotations of Member States’ forces into one of the theatres could be beefed-up. Nonetheless a relief to France will only be possible over time.

The longer France’s increased military engagement in combating Daesh takes, the more the question of sustainability of the action will have to be addressed. In such a case unburdening French capabilities could play an increasing role.

Other possible consequences

France could use the activation of the article 42(7) TEU to justify, on a case by case basis, exceptions from the rules enshrined in the treaties, e.g. in the areas of defence procurement, free movement of goods, on the public deficit etc. This article does not constitute a catch all basis for such exceptions, but could strengthen the arguments where they are invoked.

http://www.emeeting.europarl.europa.eu/committees/agenda/201512/SEDE/SEDE(2015)1130_1P/sitt-1448680

Der Hauptausschuss des Nationalrats hat am Donnerstag, 17. Dezember 2015, mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP, die Beteiligung des Österreichischen Bundesheeres an der Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia abgesegnet. Laut dem Verteidigungsminister werden österreichische Offiziere vorwiegend im Bereich Logistik, Durchführungsmanagement und Budgetabwicklung tätig sein. Dabei geht es um insgesamt maximal 55 Soldaten.  Zunächst bis zu 10 Heeresangehörige, die vorläufig bis Ende 2016 im Rahmen der Mission tätig sein werden. Hinzu kommen 25 Soldaten für vorbereitende und unterstützende Tätigkeiten und weitere 20 Soldaten für Lufttransporte und die Verlegung von Patienten (MEDEVAC-Modul der C-130K „Hercules“).

Mögliche weitere Beiträge im Jahr 2016

In Beantwortung einer Anfrage des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Gerhard Schmid erklärte das BMLVS am 24. Jänner 2016, dass nach „erfolgter gesamtstaatlicher Abstimmung mit BMEIÄ, BKA und BMLVS […] mögliche Unterstützungsmaßnahmen im Kampf gegen den Terror in Aussicht genommen“ werden. Die Verhandlungen würden mit Stand vom 22. Jänner 2016 noch laufen, wobei allfällige Beiträge Österreichs nur in Bereichen stattfinden,  für die ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (UN-Mandat) besteht.

Ende April 2016 berichtete der Verteidigungsminister in der schriftlichen Beantwortung  einer parlamentarischen Anfrage über weitere Maßnahmen in Reaktion auf die Anwendung der militärischen Beistandsklausel. Die Republik Österreich hat Frankreich „vorbehaltlich einer Beschlussfassung der Bundesregierung eine Unterstützung im Ausmaß von 100 Flugstunden mit dem Lufttransportsystem C-130 für EU- oder UN-mandatierte Einsätze im Rahmen der Fähigkeiten des Systems“  angeboten.

Abb. : Transportflugzeug C-130K "Hercules" des Österreichischen Bundesheeres während der Übung "Flintlock 2016" im Senegal (Foto: Bundesheer/HORST GORUP)

Abb. 5: Transportflugzeug C-130K „Hercules“ des Österreichischen Bundesheeres während der Übung „Flintlock 2016“ im Senegal (Foto: Bundesheer/HORST GORUP)

Der Hauptausschuss des Nationalrates, mit dem laut § 2 Abs. 1 KSE-BVG bei der Teilnahme an Maßnahmen in Durchführung von Beschlüssen der Europäischen Union im Rahmen der GSVP das Einvernehmen hergestellt werden muss, genehmigte am 27. Juni 2016 die Bereitstellung der C-130K, die Entsendung von 45 Personen für Luftransporte und bis zu 25 Personen für unterstützende Tätigkeiten in Reaktion auf die Aktivierung der Beistandsklausel. Der Verteidigungsminister informierte, dass es noch kein konkretes Ansuchen Frankreichs gebe. Die Dauer ist vorläufig bis zum 31. Dezember 2016 begrenzt. Kritik gab es nur vom Sicherheitssprecher der Grünen:

Pilz äußerte die Vermutung, dass es sich bei dem von Österreich zugesagten Beistand für Frankreich lediglich um eine symbolische Geste handelt. Er glaubt nicht, dass Frankreich tatsächlich auf österreichische Unterstützung angewiesen ist. Dennoch verweigerten er und seine FraktionskolegInnen dem Antrag des Außenministers ihre Zustimmung. Es sei „vollkommen falsch“, eine Entsendung auf Vorrat zu beschließen und die endgültige Entscheidung über den Einsatzort Paris zu überlassen, machte Pilz geltend. Schließlich seien einige Missionen Frankreichs in Afrika ausgesprochen heikel, und man wisse nicht, wie sich diese entwickeln würden.

Pilz appellierte in diesem Sinn an den Außenminister, den Antrag zurückzuziehen und bei Vorliegen eines konkreten Einsatzszenarios einen neuen Antrag einzubringen. Er hinterfragte außerdem mit Hinweis auf den EU-Vertrag die Unterstützung Frankreichs außerhalb des französischen Staatsgebiets. Den geäußerten Bedenken schloss sich auch Wolfgang Zinggl an.

Dabei muss entgegengehalten werden, dass der Art. 42 (7) EUV für den Fall aktiviert werden kann, wenn ein bewaffneter Angriff „auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ erfolgt. Er präjudiziert weder die Form der zu leistenden Unterstützung, noch das Einsatzgebiet.

Die Kosten für eventuelle Entsendungen würden vom BMLVS getragen. Mögliche Einsatzräume seien:

  • Europäische Union
    • EUTM-Mali (Reorganisation und Training der malischen Sicherheitskräfte; 14 Soldaten)
    • EUMAM RCA (Unterstützung der zentralafrikanischen Behörden bei der Reform des Sicherheitssektors; 4 Soldaten)
    • EUNAVFOR MED (Überwachung, Aufklärung und Einschätzung der Schlepperaktivitäten im südlich-zentralen Mittelmeer; 8 Soldaten)
    • EUTM SOM (Stärkung der Übergangsregierung in Somalia)
    • EUCAP Sahel Niger (Unterstützung der Sicherheitskräfte im Kampf gegen Terror und organisiertes Verbrechen)
    • EUCAP Sahel Mali (Stärkung des Sicherheitssektors in Mali)
    • EUCAP NESTOR (Trainingsmission für maritime Kapazitäten gegen Piraterie in Somalia)
  • Vereinte Nationen
    • MINURSO (Überwachung des Waffenstillstandes zwischen Marokko und der Frente Popular para la Liberación de Saguia el-Hamra y de Río de Oro – kurz: Frente POLISARIO; 5 Soldaten)
    • MINUSMA (Unterstützung Malis bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität; 6 Soldaten)
    • UNIFIL (Verhinderung der Wiederaufnahme der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Libanon; 174 Soldaten)
    • MINUSCA (Stabilisierungsmission in der Zentralafrikanischen Republik)
    • MONUSCO (Mission für die Stabilisierung des Kongo)
    • UNMIL (Mission in Liberia)
    • UNOCI (Mission in der Elfenbeinküste)

An mehreren dieser Missionen ist Österreich bereits beteiligt. Die aktuelle Zahl österreichischer Soldaten beim jeweiligen Einsatz (Stand: 27. Juni 2016) ist in GRÜN angegeben.

Worum handelt es sich beim Artikel 42-7?

Die Beistandsverpflichtung war ursprünglich der Artikel 40-7 des Entwurfvertrags über eine Verfassung für Europa von 2003:

(7) Solange der Europäische Rat keinen Beschluss im Sinne des Absatzes 2 gefasst hat, wird im Rahmen der Union eine engere Zusammenarbeit im Bereich der gegenseitigen Verteidigung eingerichtet. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit leisten im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines an dieser Zusammenarbeit beteiligten Staates die anderen beteiligten Staaten gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung. Bei der Umsetzung der engeren Zusammenarbeit im Bereich der gegenseitigen Verteidigung arbeiten die beteiligten Staaten eng mit der Nordatlantikvertrags-Organisation zusammen. Die Teilnahmemodalitäten und die praktischen Modalitäten sowie die dieser Zusammenarbeit eigenen Beschlussfassungsverfahren sind in Artikel III-214 enthalten.

Bei Finalisierung des Vertrags wurde die Beistandsverpflichtung auf der Regierungskonferenz 2004 von einer Gruppe neutraler EU-Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, ausdrücklich unterstützt:

The Governments of Austria, Ireland, Finland and Sweden express their full support for the efforts of the Italian Presidency to finalise the Constitutional Treaty and to strengthen European Security and Defence Policy. We look forward to a successful outcome on these and other issues at the IGC sessions next week.

We would also like to stress the importance to enhance mutual solidarity among EU Member States. We fully support the proposal to add in the Constitutional Treaty a solidarity clause which would take into account terrorism and natural and man-made disasters. Moreover, we are prepared to underline the principle of EU solidarity more widely in the field of security, including in situations referred to in Article 51 of the UN Charter. However, provisions containing formal binding security guarantees would be inconsistent with our security policy or with our constitutional requirements.

We therefore propose the following text for the first paragraph of Article 40(7) of the Constitutional Treaty:

If a Member State is victim of armed aggression, it may request that the other Member States give it aid and assistance by all the means in their power, military or other, in accordance with article 51 of the UN Charter.

Such an article would in our view substantially enhance solidarity among EU Members in the field of security, and contribute to the further strengthening of the European Security and Defence Policy.

We are copying this letter to the Foreign Ministers of other Member States and acceding States and Javier Solana.

Der am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs der EU unterzeichnete Vertrag über eine Verfassung für Europa sah eine sehr starke Beistandsverpflichtung vor:

(7) Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats müssen die anderen Mitgliedstaaten nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.

Der Wortlaut wurde, im Vergleich zum Entwurfvertrag, von

if one of the Member States participating in such cooperation is the victim of armed aggression on its territory, the other participating States shall give it aid and assistance by all the means in their power, military or other

leisten im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines an dieser Zusammenarbeit beteiligten Staates die anderen beteiligten Staaten […] alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung

auf

the other Member States shall have towards it an obligation of aid and assistance by all the means in their power

müssen die anderen Mitgliedstaaten nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten

geändert.

Im Gegensatz dazu besteht im Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 keine ausdrückliche Verpflichtung aller EU-Mitgliedsstaaten zur unbedingten militärischen Unterstützung eines von einem bewaffneten Angriff betroffenen Mitgliedsstaats. Der Artikel 42-7 im Abschnitt 2 „Bestimmungen über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ des Vertrags über die Europäische Union, die sogenannte militärische Beistandsklausel, schreibt vor:

(7) Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.

Die Verpflichtungen und die Zusammenarbeit in diesem Bereich bleiben im Einklang mit den im Rahmen der Nordatlantikvertrags-Organisation eingegangenen Verpflichtungen, die für die ihr angehörenden Staaten weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung ist.

Es steht jedem Mitgliedsstaat frei, ob und wie er solche Maßnahmen zur Hilfeleistung setzt. Aus diesem Grund ist die militärische Beistandsklausel auch im Einklang mit dem österreichischen Neutralitätsgesetz. Das wurde im Vorfeld der Plenarberatungen des Nationalrats im Bericht des Verfassungsausschusses bestätigt:

Im Vertrag von Lissabon wird auch die Bestimmung aus dem Verfassungsvertrag übernommen, die besagt, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, die anderen Mitgliedstaaten nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung schulden. Aufgrund seiner verfassungsrechtlich verankerten Neutralität wurde bereits im Zuge der Verhandlungen des Verfassungsvertrages von österreichischer Seite besonderes Augenmerk auf diese Bestimmung gelegt. Letztlich gewährleistet die Formulierung, dass die Hilfeleistungspflicht „den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt lässt“, dass die Verpflichtung Österreichs aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs, BGBl. Nr. 1955/211, respektiert wird und die österreichische Neutralität auch durch den Vertrag von Lissabon gewahrt bleibt. Österreich wird auch in Zukunft selbst darüber entscheiden können, ob sowie auf welche Weise Unterstützung geleistet wird.

Der Grund für die Entschärfung der militärischen Beistandsklausel liegt in Bedenken Irlands, das auf der Tagung des Europäischen Rates vom 11. und 12. Dezember 2008 Anliegen der irischen Bevölkerung, insbesondere zur Neutralität, dargelegt hat (siehe Anlage 1 in den Schlussfolgerungen des Vorsitzes):

a) Es muss sichergestellt werden, dass Irlands Forderungen hinsichtlich der Beibehaltung seiner traditionellen Politik der Neutralität erfüllt werden.

Die Mitgliedsstaaten kamen diesem Anliegen mit einem Ratsbeschluss vom 18./19. Juni 2009 entgegen:

3. Der Europäische Rat ist ferner übereingekommen, dass den vom irischen Premierminister dargelegten sonstigen Anliegen der irischen Bevölkerung, die […] Irlands traditionelle Politik der militärischen Neutralität betreffen, zur beiderseitigen Zufriedenheit Irlands und der anderen Mitgliedstaaten durch die erforderlichen rechtlichen Garantien Rechnung getragen werden wird.

Beschluss der im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs  der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon

Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Regierungen Unterzeichner des Vertrags von Lissabon sind –

nach Kenntnisnahme des Ergebnisses des Referendums in Irland vom 12. Juni 2008 über den Vertrag von Lissabon und der vom irischen Premierminister dargelegten Anliegen der irischen Bevölkerung,

in dem Bestreben, diesen Anliegen nach Maßgabe dieses Vertrags gerecht zu werden,

eingedenk der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 11./12. Dezember 2008 –

haben folgenden Beschluss gefasst:

[…]

ABSCHNITT C
SICHERHEIT UND VERTEIDIGUNG

Die Union lässt sich bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene von den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Achtung der Menschenwürde, dem Grundsatz der Gleichheit und dem Grundsatz der Solidarität sowie der Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts leiten.

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und stattet die Union mit einer operativen Kapazität aus, so dass sie Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen durchführen kann.

Sie präjudiziert weder die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten, einschließlich Irlands, noch die Verpflichtungen irgendeines Mitgliedstaates.

Der Vertrag von Lissabon berührt oder präjudiziert nicht Irlands traditionelle Politik der militärischen Neutralität.

Es bleibt den Mitgliedstaaten – einschließlich Irlands, das im Geiste der Solidarität und unbeschadet seiner traditionellen Politik der militärischen Neutralität handelt – unbenommen, zu bestimmen, welche Art von Hilfe oder Unterstützung sie einem Mitgliedstaat leisten, der von einem Terroranschlag oder einem bewaffneten Angriff in seinem Hoheitsgebiet betroffen ist.

Ein Beschluss über den Übergang zu einer gemeinsamen Verteidigung erfordert einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates. Es wäre Sache der Mitgliedstaaten, einschließlich Irlands, nach Maßgabe des Vertrags von Lissabon und ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zu entscheiden, ob der Beschluss zu einer gemeinsamen Verteidigung gefasst wird.

Dieser Abschnitt berührt oder präjudiziert in keiner Weise die Haltung oder Politik anderer Mitgliedstaaten im Bereich der Sicherheit und Verteidigung.

Es ist auch Sache jedes einzelnen Mitgliedstaates, nach Maßgabe des Vertrags von Lissabon und etwaiger innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu entscheiden, ob er an der ständigen strukturierten Zusammenarbeit teilnimmt oder sich an der Europäischen Verteidigungsagentur beteiligt.

Der Vertrag von Lissabon sieht weder die Schaffung einer europäischen Armee noch die Einberufung zu einem etwaigen militärischen Verband vor.

Er berührt nicht das Recht Irlands oder eines anderen Mitgliedstaates, Art und Umfang seiner Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben sowie die Art seiner Verteidigungsfähigkeit zu bestimmen.

Es bleibt Irland und jedem anderen Mitgliedstaat unbenommen, nach Maßgabe etwaiger innerstaatlicher Rechtsvorschriften einen Beschluss über eine etwaige Teilnahme an Militäroperationen zu fassen.

Die Anfragebeantwortung vom 22. April 2016 gibt über den rechtlichen Standpunkt des BMLVS hinsichtlich der militärischen Beistandsklausel Auskunft. Demnach beschränkt sich die österreichische Neutralität nach dem Neutralitäts-BVG nur noch auf die Bündnis- und Stützpunktfreiheit. Die sogenannte Lissabon-Begleitnovelle, die der Nationalrat am 8. Juli 2010 beschlossen hat, ersetzte die Art. 23e und Art. 23f B-VG, die noch auf der Rechtslage des Vertrags von Nizza (2001) beruhten, durch die Art. 23e bis 23j. Zum Vergleich der alte Art. 23f:

Artikel 23f. (1) Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Nizza mit. Dies schließt die Mitwirkung an Aufgaben gemäß Art. 17 Abs. 2 dieses Vertrages sowie an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden. Auf Beschlüsse des Europäischen Rates über eine gemeinsame Verteidigung ist Art. 50 Abs. 4 sinngemäß anzuwenden.

(2) Für Beschlüsse im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V sowie für Beschlüsse im Rahmen der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen auf Grund des Titels VI des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Nizza gilt Art. 23e Abs. 2 bis 5.

(3) Bei Beschlüssen betreffend friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen sowie bei Beschlüssen gemäß Art. 17 des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Nizza betreffend die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik ist das Stimmrecht im Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und dem für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Bundesminister auszuüben.

(4) Eine Zustimmung zu Maßnahmen gemäß Abs. 3 darf, wenn der zu fassende Beschluss eine Verpflichtung Österreichs zur Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen bewirken würde, nur unter dem Vorbehalt gegeben werden, dass es diesbezüglich noch der Durchführung des für die Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen in das Ausland verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrens bedarf.

Für die GSVP maßgeblich ist der neue Art. 23j B-VG (mit einer Ausweitung der möglichen militärischen Aufgaben im Rahmen der EU):

Artikel 23j. (1) Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V Kapitel 2 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon mit. Dies schließt die Mitwirkung an Aufgaben gemäß Art. 43 Abs. 1 dieses Vertrags sowie an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden. Auf Beschlüsse des Europäischen Rates über eine gemeinsame Verteidigung ist Art. 50 Abs. 4 sinngemäß anzuwenden.

(2) Für Beschlüsse im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V Kapitel 2 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon gilt Art. 23e Abs. 2, 4 und 6.

(3) Bei Beschlüssen über die Einleitung einer Mission außerhalb der Europäischen Union, die Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens oder Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten umfasst, sowie bei Beschlüssen gemäß Art. 42 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon betreffend die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik ist das Stimmrecht im Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und dem für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Bundesminister auszuüben.

(4) Eine Zustimmung zu Maßnahmen gemäß Abs. 3 darf, wenn der zu fassende Beschluss eine Verpflichtung Österreichs zur Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen bewirken würde, nur unter dem Vorbehalt gegeben werden, dass es diesbezüglich noch der Durchführung des für die Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen in das Ausland verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrens bedarf.“

Die militärische Beistandsklausel darf nicht mit der Solidaritätsklausel, dem Titel VII des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäische Union, verwechselt werden. Die Solidaritätsklausel, die ebenso wie die militärische Beistandsklausel aus dem Vertrag von Lissabon stammt, regelt die gegenseitige Hilfeleistung der Mitgliedsstaaten im Falle von terroristischen Bedrohungen oder Naturkatastrophen. Sie wurde erst mit dem Beschluss des Rates vom 24. Juni 2014 über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union implementiert.

Anhang

Über die genaue Ausgestaltung der österreichischen Beitragsleistung an Frankreich gibt das am 20. Juni 2016 durch die Redaktion TRUPPENDIENST veröffentlichte Factsheet detailliert Auskunft.