Durch den Ministerrat wurde heute ein Bericht des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres beschlossen, der eine Delegation des BMLVS und des BMEIA dazu ermächtigt, Verhandlungen zum „Abschluss eines – inhaltlich erweiternden und vertiefenden – Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft bezüglich der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherung des Luftraums gegen nichtmilitärische Bedrohungen aus der Luft“ aufzunehmen.

Der wesentliche Inhalt dieses Abkommens liegt im Überfliegen der gemeinsamen Staatsgrenze zum Zweck des sicheren „Übergebens“ eines verdächtigen Luftfahrzeuges an die Fliegerkräfte des jeweiligen Nachbarstaates, sodass ein allfälliges Zurückfliegen des verdächtigen Luftfahrzeuges in das jeweils eigene Hoheitsgebiet nicht mehr möglich bzw. nicht mehr wahrscheinlich ist. Das Abkommen aus dem Jahr 2008 soll in dem beabsichtigten neuen Abkommen inhaltlich entsprechend integriert werden.

Die Grundlage dazu legte der am 27. September 2016 vom Ministerrat beschlossene Gemeinsame Bericht des Bundesministers für Inneres und des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend den Bericht der Arbeitsgruppe Sicherheit – Österreichs Sicherheit neu gestalten:

6. Stärkung des gesamtstaatlichen Auslandsengagements auf qualitativ hohem und interessegeleitetem Niveau, Weiterentwicklung von sicherheitspolitischen Kooperationen

Ausweitung des Engagements zu Terrorismusprävention und Fluchtursachenbekämpfung sowie der Kooperation mit relevanten Drittstaaten im Bereich Migrationsmanagement unter besonderer Berücksichtigung forcierter Rückführungen; Intensivierung der grenzüberschreitenden Kooperation im gesamten Spektrum der Luftraumüberwachung; Einrichtung eines gesamtstaatlichen Expertenpools sowie Prüfung der Schaffung eines Stabilisierungsfonds für internationale Krisensituationen in Abgrenzung zum Katastrophenfonds und zur Entwicklungszusammenarbeit (EZA); Ausbau der zivil-militärischen Beiträge zur regionalen und internationalen Katastrophenhilfe.

Dabei muss betont werden, dass die Nacheile die Schweizer Luftwaffe keineswegs dazu ermächtigen würde, bei Verletzungen des österreichischen Luftraums zu intervenieren. Ebensowenig dürfen fremde Luftfahrzeuge im österreichischen Luftraum von Schweizer Kampfjets abgeschossen werden (Ob ein Landezwang erlaubt wäre, hängt von den Verhandlungen und der Ausgestaltung des Abkommens ab. Die Formulierung im Ministerratsvortrag legt nahe, dass Schweizer F/A-18 „Hornet“ Luftraumverletzer in den österreichischen Luftraum begleiten und sie an „Eurofighter“ des Bundesheeres übergeben würden. Der Landezwang würde dann von den österreichischen Luftstreitkräften durchgeführt.). Hier sei auch der heute vom Schweizer Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport publizierte Bericht der Expertengruppe Neues Kampfflugzeug zitiert:

Interventionen im Luftpolizeidienst

Bereits heute bestehen mit den vier Nachbarstaaten Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich bilaterale Luftpolizeiabkommen, welche die Wirksamkeit des Luftpolizeidienstes erhöhen und insbesondere den Austausch des Luftlagebilds vorsehen; diejenigen mit Frankreich und Italien erlauben überdies die Nacheile über die Landesgrenze im Falle einer luftpolizeilichen Intervention. Weitergehende Kooperationen im Luftpolizeidienst sind indessen nicht realistisch: Für die Schweiz wäre es kaum hinnehmbar, dass ausländische Organe über den Abschuss eines Luftfahrzeugs über schweizerischem Territorium entscheiden; zudem dürfte kein anderer Staat bereit sein, diese in jedem Fall auch politisch schwierige Entscheidung für einen anderen Staat zu treffen. Bislang stellen einzig Belgien und die Niederlande den Luftpolizeidienst über den Benelux-Staaten gemeinsam sicher. Die beiden Länder sind allerdings Nato-Mitglieder und praktizieren zudem seit Jahrzehnten militärische Aufgabenteilung.

Status quo bei der grenzüberschreitenden Luftraumüberwachung

Bisher darf Österreich aufgrund des am 15. April 2008 unterzeichneten Abkommens zwischen der Österreichischen Bundesregierung und dem Schweizerischen Bundesrat bezüglich der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherung des Luftraums gegen nichtmilitärische Bedrohungen aus der Luft lediglich Luftlagedaten (Radardaten der Systeme Goldhaube bzw. FLORAKO) mit der Schweiz austauschen. Beabsichtigt wurde auch regelmäßig grenzüberschreitende Übungen zur Vorbereitung der Sicherung des gemeinsamen Interessensgebietes gegen nichtmilitärische Bedrohungen durchzuführen“. Eine solche Übung war beispielsweise die „Decent Decision“, bei der Kampfflugzeuge des Österreichischen Bundesheers, der Schweizer Luftwaffe und der deutschen Luftwaffe ein Flugzeug, zu dem (in der Übungsannahme) der Funkkontakt abgerissen war, abfingen und zur Staatsgrenze eskortierten.

„Nacheile“ und Neutralität?

Wie vertragen sich „Nacheile“ und Neutralität? Die Republik Österreich hat sich im Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs dazu verpflichtet, „zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beizutreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zuzulassen“. Da die Nacheile lediglich das vorübergehende Eskortieren über die Staatsgrenze und im Falle der Abkommen der Schweiz mit Frankreich und Italien auch den Landezwang umfasst, werden dadurch keine militärischen Stützpunkte fremder Staaten geschaffen.

Das Übereinkommen vom 18. Oktober 1907, betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges legt fest, dass es Kriegführenden untersagt ist „Truppen oder Munitions- oder Verpflegskolonnen durch das Gebiet einer neutralen Macht durchzuführen“ (Das kann im heutigen Sinne auch auf Überflüge von Militärflugzeugen übertragen werden, die demnach eine Luftraumverletzung darstellen würden.). Die neutrale Macht darf eine solche Handlung nicht dulden und ist dazu verpflichtet „Handlungen, die der Neutralität zuwiderlaufen, zu bestrafen, wenn diese Handlungen auf ihrem eigenen Gebiete begangen worden sind“. Außerdem wurde durch den Art. 10 fixiert, dass die Tatsache, dass eine neutrale Macht eine Verletzung ihrer Neutralität selbst mit Gewalt zurückweist, nicht als eine feindliche Handlung angesehen werden kann.

Das Beispiel Schweiz

Die Schweiz hat bisher mit drei ihrer Nachbarstaaten Abkommen zur „Nacheile“ abgeschlossen. Sie wurden in den Jahren 2004, 2005 und 2007 vom Parlament ratifiziert:

Die Botschaft zum Abkommen mit Frankreich hält in Bezug auf die Neutralität folgendes fest:

Das Abkommen beschränkt sich dabei auf die
Kooperation bei der Abwehr nichtmilitärischer Gefahren und kann im Falle einer Krise oder eines Konflikts jederzeit und mit sofortiger Wirkung einseitig sistiert werden. Es schafft somit keinerlei Präjudiz für eine militärische Kooperation im Rahmen eines bewaffneten Konflikts, die mit der Neutralität der Schweiz unvereinbar wäre.

Über die maximal erlaubten Mittel (über die Österreich aktuell nicht verfügt, weil 2007 das Selbstschutzsystem DASS des Eurofighter gestrichen wurde) steht in der Botschaften über die Zusammenarbeit mit Frankreich:

Die künftige Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern wird in diesem Abkommen in einem Rahmen festgelegt, der den Austausch von Informationen zur identifizierten Luftlage ermöglicht und es einem im Einsatz stehenden Flugzeug der Luftpolizei angesichts einer nichtmilitärischen Bedrohung erlaubt, die Grenze zu überfliegen und unter dem Kommando des Gastlandes die Operationen bis zum Einsatz von Infrarotlockzielen weiter zu verfolgen. Ausgenommen bleiben einzig der Warnschuss mit scharfer Munition sowie der Zerstörungsschuss.

Im Abkommen mit Frankreich selbst werden die vom Vertragspartner einsetzbaren Mittel folgendermaßen definiert:

Art. 1 Begriffsbestimmungen

[…]

4. Aktive Massnahmen zur Sicherung des Luftraums: bezeichnet

4.1 für die französische Partei:

a) die Aufklärung,

b) die Überwachung,

c) die Befragung,

d) den Begleitschutz,

e) die Erzwingung der Einhaltung der Flugroute,

f) das Überflugverbot,

g) die Erzwingung der Landung,

h) den Warnschuss mit Hilfe von Infrarotlockzielen im Schweizer Luftraum;

4.2 für die Schweizer Partei:

a) die Identifizierung durch besetzte Luftfahrzeuge einschliesslich der Aufklärung und der Überwachung nach Artikel 1 Absatz 4.1,

b) die Intervention einschliesslich Befragung, Begleitschutz, Erzwingung der Einhaltung der Flugroute, Überflugverbot und Erzwingung der Landung nach Artikel 1 Absatz 4.1 sowie Warnschuss mit Hilfe von Infrarotlockzielen im französischen Luftraum.

 

Art. 5 Einsatz

1. Der Entscheid zum Einsatz eines Luftfahrzeuges einer der Parteien im Luftraum der anderen Partei ist der Bewilligung der Einsatzbehörde der Entsendepartei des Luftfahrzeuges unterstellt. Wird diese Bewilligung erteilt, so werden auf Anordnung der Einsatzbehörde der Aufnahmepartei sämtliche in Artikel 1 Absatz 4 dieses Abkommens festgelegten aktiven Massnahmen zur Sicherung des Luftraumes ergriffen.

Die Ergreifung von grenzüberschreitenden Massnahmen zur Sicherung des Luftraumes erfordert eine Koordination zwischen den taktischen Kommandos (TACOM) und einen Transfer der taktischen Kontrolle (TACON) der Luftverkehrsmittel der Parteien.

2. Der Warnschuss, der die Anwendung von Waffen beinhaltet, und der Zerstörungsschuss fallen ausschliesslich in den Zuständigkeitsbereich und die Kompetenz jeder Partei und können somit nur mit einem nationalen Interventionsmittel über nationalem Hoheitsgebiet unter nationalen Kontroll- und Einsatzketten und nach nationaler Authentifizierung in Betracht gezogen werden.

Bei der Luftannäherung französischer Kampfflugzeuge an den Schweizer Luftraum im Fall einer nichtmilitärischen Bedrohung wäre die Entsendepartei Frankreich, die Aufnahmepartei die Schweiz.

Abb. 1: F/A-18 Hornet der Schweizer Luftwaffe beim Abfeuern von Infrarotlockzielen/Flares (© VBS/DDPS)

Die Botschaft über das Abkommen mit Italien schreibt zwar von der Möglichkeit zum Einsatz von Infrarotlockzielen, im Vertrag selbst ist davon aber keine Rede:

Unter dem Kommando des Gastlandes sind grenzüberschreitende Luftpolizeieinsätze bis hin zum Einsatz von Infrarotlockzielen möglich. Ausgeschlossen sind dagegen der Warnschuss mit scharfer Munition sowie der Zerstörungsschuss.

 

Der Katalog möglicher Abschreckungsmassnahmen konnte noch nicht abschliessend festgelegt werden; aus diesem Grund wird diesbezüglich auf eine Ausführungsvereinbarung (vgl. Ziff. 2.1.1.4) verwiesen, welche diesen Bereich noch näher definieren muss. Allerdings kommen nur Massnahmen in Frage, die auch nach den Vorschriften der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO zulässig sind. Im Vordergrund steht der Einsatz von sog. Infrarotlockzielen (flares). Dabei handelt es sich um eine pyrotechnische Munition, welche bei ihrer Verwendung helles Licht und starke Hitze entwickelt und am Tag wie während der Nacht vom abgefangenen Flugzeug aus deutlich zu sehen ist. Diese für die Umwelt nicht schädliche Munition wird von unseren Flugzeugen im Rahmen von Trainingsflügen regelmässig eingesetzt. Der Warnschuss mit scharfer Munition sowie der Zerstörungsschuss verbleiben hingegen in der ausschliesslichen Kompetenz des Staates, der die jeweiligen
Hoheitsrechte ausübt.

Die Ausführungsvereinbarung (Die es in dieser Form auch für die Abkommen mit allen übrigen Nachbarstaaten der Schweiz gibt.) sind klassifiziert. Deshalb ist das Ausmaß der Befugnisse hinsichtlich der Abschreckungsmaßnahmen bei grenzüberschreitenden Einsätzen im italienischen bzw. Schweizer Luftraum nicht bekannt.

Im Abkommen mit Deutschland sind weitergehende Einschränkungen eingebaut. Luftraumverletzer dürfen lediglich identifiziert und begleitet werden. Ein Landezwang oder gar ein Warnschuss sind untersagt:

Wie bereits vorstehend unter Ziffer 2.1 erwähnt wurde, sind der Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des deutschen Grundgesetzes gewisse Schranken gesetzt, welche z.B. mit Frankreich oder Italien nicht bestehen. Es betrifft dies insbesondere die Aufforderung zur Landung sowie der Einsatz von Infrarotlockzielen (flares) im Luftraum der Gegenpartei.

Das Abkommen sieht daher folgende Massnahmen vor:

– das Operieren in einem Bereitschaftsraum und der Überflug im Luftraum der anderen Partei;

– die Nachbetankung auf einem Flughafen der anderen Partei;

– die Luft-Luftbetankung (air-to-air refueling);

die taktische Kontrolle von Luftfahrzeugen einer Partei durch ein Organ der anderen Partei;

– das Mitführen von Personal und Ausrüstungen der einen Partei an Bord eines Luftfahrzeuges der anderen Partei;

die unter Artikel 1 Absatz 3 genannten Massnahmen (Luftraumüberwachung, Identifizierung mittels technischer Mittel, Sichtidentifizierung, Begleitung mit Einsatzflugzeugen).

Im Abkommen selbst werden diese Maßnahmen so formuliert:

Art. 1 Begriffsbestimmungen

[…]

(3) «Massnahmen zur Sicherung des Luftraums», die auf Antrag der für die Sicherheit im Luftraum zuständigen Stellen zum Zwecke des Informationsaustauschs und der Informationsgewinnung durchgeführt werden, sind im Sinne dieses Abkommens die folgenden:

1. die Luftraumüberwachung,

2. die Identifizierung mithilfe technischer Mittel und die Klassifizierung,

3. die Sichtidentifizierung und

4. das Begleiten mit Einsatzflugzeugen.

 

Art. 6 Luftsicherungsmassnahmen

Zur Sicherung des Luftraums können unter Einhaltung der geltenden nationalen Regelungen zum Verhalten im Luftraum folgende Massnahmen ergriffen werden:

1. das Operieren in einem Bereitstellungsluftraum und der Überflug eines jeden militärischen Luftfahrzeugs einer der Parteien im nationalen Luftraum der anderen Partei,

2. die Nachbetankung eines jeden Luftfahrzeuges einer der Parteien auf einem Flughafen der anderen Partei und Nutzung dieser Flughäfen als mögliche Ausweichflughäfen,

3. die Luft-Luftbetankung von Flugzeugen der beiden Parteien im Luftraum einer Partei,

4. die taktische Kontrolle von Luftfahrzeugen einer der Parteien durch ein Organ der Luftraumkontrolle der anderen Partei,

5. das Mitführen von Personal und Ausrüstungen einer der Parteien an Bord eines Luftfahrzeugs der anderen Partei, sobald deren Anwesenheit zu Einsatzzwecken gerechtfertigt ist, und

6. die in Artikel 1 Absatz 3 genannten Massnahmen im Luftraum der Aufnahmepartei, sofern ein entsprechender Antrag der für die Sicherheit im Luftraum zuständigen Stellen vorliegt.